Gastbeitrag: Cinematographic Tides – La Terre abandonnée, GOOD/BYE

Frankfurt – Weltstadt, Messezentrum, Stadt der Finanzen und Wolkenkratzer. Mit 5,5 Millionen Einwohnern im Rhein-Main-Gebiet wird man von der Schnelllebigkeit und Masse schnell verschluckt und an verschiedenen Orten wieder ausgespuckt. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Wenn ihr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs seid und Orientierung nicht eure Superpower ist (und hier muss es sie sein), dann stehen euch tapfere Großstädter zur Seite. Die sind nämlich ausnehmend hilfsbereit. Man darf nur nicht den Fehler machen, mehrere Personen nach dem gleichen Weg zu fragen, denn dann bekommt man auch jedes Mal eine andere richtige Antwort. So findet man sich nicht nur im Großstadtdschungel schnell zurecht, sondern lernt auch gleich nette Leute kennen. Biegt man dann in die Waldschmidtstraße ein, verschwindet das hektische Gefühl ganz schnell. Der Beat nimmt ab, das Ankommen zu. Abseits eröffnet sich dann langsam eine pinke Oase, die vorfreudige Gesichter und eine ausgelassene Stimmung zeigt. Gemütlich sitzt man hier bei einem Kaffee in der Lounge oder einem Bierchen im Freien, deckt sich mit Merchandise-Artikeln ein oder trifft Bekannte aus den Vorjahren. Und richtig angekommen ist man dann, wenn im Saal das Licht ausgeht und man sich im Kinosessel nach hinten lehnen kann. Film ab!

La Terre abandonnée (2016) von Gilles Laurent – Fukushimas Nachlass


Am 11. März 2011 um 14:46 Uhr erbebte vor der Ostküste Honshūs die Erde. Die sich daran anschließenden Tsunami-Wellen überfluteten die Reaktorblöcke des Kernkraftwerks in Fukushima und ließen den Notstrom ausfallen. Dies führte zur Überhitzung in zwei Reaktoren sowie zur Wasserstofffreisetzung und Kernschmelze. In den darauffolgenden Tagen folgten Explosionen sowie der Austritt von stark kontaminierten Wasser. Die Strahlenblastung nahm zu, Einwohner wurden evakuiert und die betroffenen Gebiete abgesperrt. Die Aufräumarbeiten dauern an, ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.


Doch wie sieht es 5 Jahre nach der Katastrophe von Fukushima aus? Das zeigt Gilles Laurent – ehemaliger Tontechniker, der 2016 bei den Anschlägen in Brüssel ums Leben kam, bevor er seinen ersten, diesen Film komplett fertigstellen konnte. Sein Debutfilm La Terre Abandonée portraitiert die Einwohner des kleinen Orts Tomioka, das immer noch zum Sperrgebiet gehört und von dem eine unangenehm postapokalyptische Atmosphäre ausgeht. Selbst die Natur scheint still zu stehen, Geräusche sind rar. Eine Handvoll Menschen sind jedoch geblieben oder zurückgekehrt. Da ist zum Beispiel Naoto Matsumura, der sich weigerte wegzuziehen oder ein Ehepaar, das mit einem Strahlenmessgerät vor dem Grab seiner Verwandten steht und selbst angebautes Gemüse verzehrt, ohne mit der Wimper zu zucken. An den verlassenen Straßen reihen sich Abfallsäcke mit verstrahltem Gut – Tepco räumt auf. Die Dagebliebenen, sie essen, lachen und singen, doch die Bitterkeit scheint durch das gesellige Beisammensein, sodass man sich unweigerlich fragt, warum das Ganze. Die Antwort ist spürbar, wenn zurückgelassene Tiere vor ihrem Hungertod gerettet werden, Bienen – die keinen Honig mehr produzieren – abgefertigte Pollen bekommen, ausgesät, aber kaum geerntet wird – die Liebe zur Heimat ist einfach größer als die Angst vor einer unsichtbaren Gefahr. Ob Zeit auch hier die Wunden heilt, lässt dieser unruhige Film unbeantwortet.

残されし大地
Nokosareshi daichi
Belgien 2016, Blu-ray, 73 Min., OmeU
Regie: Gilles Laurent
Kamera: Laurent Fénart
Produktion & Weltvertrieb: Centre Vidéo de Bruxelles
Deutschlandpremiere
Wettbewerb Nippon Visions Jury Award und Nippon Visions Audience Award
Vorfilm: What Happens Before War?
von NOddIN, Japan 2015, 8 Min., OmeU

GOOD/BYE (2016) von Izumi Matsuno – Trennung mit Hindernissen


Wann heiratet ihr? Und wann kommt das erste Kind? Schon geplant? Fragen, denen sich wohl jedes Paar einmal stellen muss, wenn sie länger zusammen sind. So ist es auch im Fall von Tamaki und Kaori, die seit drei Jahren voneinander gerennt sind, aber immer noch zusammen leben. Das geht natürlich nicht, findet auch die Tante von Kaori und will etwas unternehmen. Von Freunden und Bekannten mit Nebensätzen bedacht, finden sich beide in einer kurzsichtigen Situation wieder, gefangen zwischen der Sehnsucht nach Berührung und der Angst vor Verantwortung und Verlust. Den Gegensätzen wird man bereits in der Wohnung gewahr. Diese ist durch Klebeband aufgeteilt – Grenzen, die von beiden strikt eingehalten werden. Als Vermittler zwischen beiden fungiert ein Regal, auf dem die beiden Bücher austauschen oder sich Nachrichten in ein Notizbuch schreiben, sonst herrscht wenig Kontakt. Als beide jeweils jemanden kennenlernen, müssen sie sich der Vorstellung einer möglichen Trennung stellen. Izumi Matsuno spickt seinen Film mit liebevollen Details und einer Prise Humor. Die schrullige Tante und der ausschweifende Onkel nehmen den Film damit ein wenig die Trägheit, die hin und wieder aufkommt.
Aber was heißt es eigentlich, sich voneinander zu lösen? Dass der erste Schritt die Annahme dieser Vorstellung ist, das zeigt Good/Bye.

さよならも出来ない
Sayonara mo dekinai
Japan 2016, Blu-ray, 76 Min., OmeU
Regie: Izumi MATSUNO
Drehbuch: Cinema College Kyoto Work Shop
Produktion & Weltvertrieb: Shima Films
Kamera: Moriro MIYAMOTO
Darsteller: Yoshimune NOZATO, Rieko DOTE, Takako HINAGA, Toshimitsu NAGAO, Yoshiha TATSUMI
Internationale Premiere
Wettbewerb Nippon Visions Jury Award und Nippon Visions Audience Award

Dieser Beitrag ist ein Gastbeitrag von der lieben Jana von Cinematographic Tides.

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